Anglikanische Kirche
Die Kirche von England ist die Mutterkirche der Anglikaner, selbstständig seit 1534. Am stärksten verbreitet sind anglikanische Kirchen deshalb in den englischsprachigen Gebieten und den Ländern des Commonwealth. Das Besondere: Die Anglikaner sind zugleich katholisch und evangelisch geprägt. Hier Gemeinsamkeiten und große Unterschiede dieser drei Konfessionen?
1. Bibelverständnis:
Primärquelle für das, was für den Glauben wichtig ist, sei natürlich die Bibel, unterstreicht Reverend Christopher Easthill, "aber die lesen wir sozusagen durch zwei Brillen, die Brille der Tradition – was die Kirchenväter und Kirchenmütter bereits aufgeschrieben haben, die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse – und wir lesen sie durch die Brille der Vernunft," so der Pfarrer der englisch-amerikanischen Gemeinde in Wiesbaden.
In diesem Punkt ist die anglikanische Gemeinschaft nah bei der katholischen Kirche. Auch sie lehrt, dass neben der Heiligen Schrift zugleich die römisch-katholische Tradition für Christen bindend ist.
Ganz anders die Kirchen der Reformation, für die allein die Autorität der Bibel zählt. Für evangelische Christen ist seit Martin Luther klar: Die Bibel ist die einzige Quelle Gottes, über die er die Menschen mit Offenbarungen versorgt, die sie wieder in Gemeinschaft mit ihm bringen.
2. Kirchenverständnis:
Vom Wesen der Kirche haben Anglikaner und Protestanten eine beinahe identische Auffassung. "Die Anglikaner sehen sich als einen Teil der einen, heiligen, katholischen, apostolischen Kirche. Sie betrachten jedoch - ebenso wie die evangelischen Kirchen – alle Kirchen als gleichberechtigt und gleichwertig.
Ganz anders die katholische Kirche (katholisch = allumfassend): Sie versteht sich als alleinige wahre Kirche - weltumspannend, unter der Führung des Papstes.
3. Papstamt:
Katholiken sehen im jeweiligen Papst den Nachfolger des Apostels Petrus - und somit das von Jesus Christus bestimmte Oberhaupt ihrer Kirche. Begründet wird das mit einer angeblich ununterbrochenen Kette von Weihen (apostolische Sukzession), die vom ersten Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht.
Eine solche zentralisierte weltweite Struktur der Autorität kennt die Anglikanische Gemeinschaft nicht. "Jedes Land, jede Provinz hat ein Kirchenoberhaupt, sagt Reverend Easthill, "aber all unsere Kirchen sind gleichzeitig episkopal und synodal." Das bedeutet: Die tägliche Leitung obliegt den Bischöfen, denen jedoch ein Beratungs- und Entscheidungsgremium aus Priestern und Laien zur Seite gestellt wird. Die protestantischen Kirchen halten es ähnlich. Für sie ist das Papstamt nicht vereinbar mit den Aussagen der Bibel.
Der Primas der Church of England, also der jeweilige Erzbischof von Canterbury, ist der oberste geistliche Leiter der Kirche. Allerdings besitzt er kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Kirchen der Anglikanischen Gemeinschaft. Er beruft jedoch wichtige Konferenzen der Bischöfe aller anglikanischen Kirchen ein.
Dass die Queen das weltliche Oberhaupt der Church of England ist, sei heute rein symbolisch zu verstehen, so Easthill. In dieser Funktion obliege es ihr, Bischöfe zu ernennen.
4. Amtsverständnis:
Die apostolische Sukzession oder apostolische Nachfolge hat eine generelle Bedeutung für das geistliche Amt in der katholischen Kirche. Mit dem Weihesakrament erhalten Bischöfe, Priester und Diakone für immer eine besondere Prägung Gottes für ihren Dienst. Deshalb steht der Dienst des Priesters über dem der katholischen Laien. Diese Weihe können zudem nur Männer bekommen.
Auch die Anglikanische Gemeinschaft hat diese Weihekette. Allerdings wird sie von der römisch-katholischen Kirche nicht anerkannt. Das dreigliedrige Amt - Bischöfe, Priester, Diakone - haben die Anglikaner von Rom übernommen, allerdings sind die Ämter in den meisten anglikanischen Kirchen für Männer und Frauen offen. "Die Priester stehen nicht über den Laien", betont Reverend Easthill: "Wir glauben, wie die Protestanten auch, an das Priestertum aller Gläubigen." Man sei der katholischen Kirche jedoch in der Hinsicht etwas näher, weil die Ämter in beiden Konfessionen Ämter auf Lebenszeit sind.
Die evangelische Kirche beruft einen Bischof auf Zeit. Dort sieht man im geistlichen Amt keine Weihe der Person. Das Amt ist für sie eine von Gott gewollte Funktion, die im Prinzip auf jeden Gläubigen übertragen werden kann – auch auf Frauen.
5. Eucharistie oder Abendmahl:
Ganz eng beieinander sind Anglikaner und Katholiken mit Blick auf Eucharistie oder Abendmahl. Beide Begriffe stehen für jene Handlung im Gottesdienst, die Sterben und Auferstehung Jesu Christi vergegenwärtigen soll. Es geht zurück auf das letzte Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern am Vorabend seiner Kreuzigung einnahm.
In beiden Kirchen darf der Eucharistie nur ein geweihter Priester vorstehen. Nur er kann im Namen Jesu Brot und Wein verwandeln in Leib und Blut Christi. Während in der katholischen Kirche Nicht-Katholiken nicht zu Eucharistie zugelassen sind, dürfen in anglikanischen Gottesdiensten alle getauften Christen daran teilnehmen.
In der evangelischen Kirche ist ebenfalls jeder getaufte Mensch eingeladen teilzunehmen. In der Regel leitet - wie in den anglikanischen, römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen auch - eine ordinierte Pfarrerin oder Pfarrer das Abendmahl.
Außerdem ist das Abendmahl inhaltlich unterschiedlich gefüllt. Anglikaner und Katholiken sehen darin eine ständige Wiederholung des Opfers Jesu Christi. Die Hostie wird in deren Interpretation zu Jesus und kann dann angebetet werden.
Für Evangelische wird mit dem Abendmahl an den Tod und die Auferstehung von Jesus erinnert. Die Gläubigen feiern die Gemeinschaft mit Jesus Christus und die Gemeinschaft untereinander.
6. Sakramente:
In der römisch-katholischen Kirche gibt es sieben heilige Handlungen, sogenannte Sakramente: Eucharistie, Taufe, Firmung, Beichte, Ehe, Priesterweihe und Krankensalbung. Durch diese Sakramente, Zeichen Gottes, bewirkt Gott Heil, davon ist die Kirche überzeugt.
Die Anglikaner sehen das differenzierter. "Bei uns gibt es zwei plus fünf", sagt Theologe Christopher Easthill. "Wir sprechen von zwei Sakramenten und fünf sakralen Handlungen." Taufe und Eucharistie seien von Christus selbst eingesetzt worden. Die fünf anderen seien zwar besondere, aber spezielle Handlungen, die vielleicht nicht jeder in Anspruch nehmen wolle.
In der evangelisch-reformierten Kirche gelten - wie in der evangelisch-lutherischen Kirche - nur zwei Sakramente: die Taufe und das Abendmahl (Eucharistie). Sie werden als symbolisch-rituelle Handlungen verstanden, durch die Gott dem Menschen das Evangelium zuspricht. Es muss durch den Glauben angenommen werden.
7. Marien- und Heiligenverehrung:
Die römisch-katholische Kirche verehrt Maria, die Mutter Jesu, als "Himmelskönigin" und sieht sie in vielen Dingen Jesus gleichgestellt. Da es insbesondere für die Mariendogmen keine biblischen Belege gibt, werden sie von evangelischer Seite abgelehnt. Diese Dogmen sind die Rettung Marias von der Erbsünde und ihre leibhaftige Aufnahme in den Himmel.
"Marienverehrung gibt es auch bei uns", erzählt Theologe Easthill. Das sei besonders bei der sogenannten High Church, der stark katholisch geprägten anglikanischen Richtung so, kaum dagegen bei der eher evangelisch geprägten Low Church.
Zusätzlich praktiziert die katholische Kirche die Heiligenverehrung. Verstorbene Glaubensvorbilder, die in der Kirchengeschichte heiliggesprochen wurden, werden um ihre Vermittlung gebeten, bei Gott Fürsprache für den Gläubigen zu halten. In der anglikanischen Kirche gibt es diesbezüglich einen entscheidenden Unterschied, so Easthill: "Wir verehren sie für das, was sie getan haben, aber wir sehen sie nicht als Mittler und beten sie nicht an. Sie sind für uns Vorbilder."
Die evangelische Kirche lehnt auch die Heiligenverehrung kategorisch als unbiblisch ab. Jeder Mensch kann und soll sich nach reformatorischem Verständnis direkt im Gebet an Gott wenden.
8. Zölibat:
In der katholischen Kirche ist das Zölibat für Priester und Ordensleute verpflichtend. Es wird als Zeichen der ungeteilten Nachfolge Christi verstanden.
Einen Zwang zum Zölibat gibt es bei den Anglikanern nicht. Optional ist das zwar möglich, doch "die meisten unserer Geistlichen sind verheiratet", unterstreicht Reverend Easthill von der der Sankt Augustine of Canterbury Church in Wiesbaden. Priester, die anglikanischen Orden angehören, lebten jedoch zölibatär.
Auch die evangelischen Kirchen lehnen das Zölibat als Pflicht ab. Bereits 1520 forderte Martin Luther seine Abschaffung. Wer jedoch bewusst zölibatär leben möchte, kann das tun.